Vereine brauchen Infrastruktur für die eigene Wertschöpfungskette

Die Initiative „Sturm braucht eine Heimat“ zu Gast beim Bürgermeister

In der heutigen Gemeinderatssitzung will die Grazer Stadtregierung unter der Führung von Nagl und Hohensinner also die „Ein-Stadion-Lösung“ einzementieren und damit die wirtschaftliche – und damit in weiterer Folge auch die sportliche – Weiterentwicklung der beiden Grazer Bundesligavereine auf unbestimmte Zeit bremsen.

In Linz, einer mit Graz vergleichbaren Stadt, ist man noch vor wenigen Wochen den genau entgegengesetzten Weg gegangen und hat sich dazu entschlossen, den Vereinen den Bau eines eigenen Stadions nicht nur zu ermöglichen, sondern diesen auch zu unterstützen.

Da wir von der Grazer Stadtregierung ständig belehrt wurden, dass eine „Zwei-Stadien-Lösung“ eigentlich zu teuer und auch unnötig sei, haben wir beim Linzer Bürgermeister Klaus Luger um ein Gespräch angefragt, um uns von ihm erklären zu lassen, warum sich Linz letztlich trotzdem für diesen Weg entschieden hat. Jenen Weg, den auch unsere Initiative für Graz fordert.

Da man als größter Fußballverein der Stadt in Graz mehr als drei Monate warten muss, um einen Termin zur Stadionthematik beim Grazer Bürgermeister zu bekommen, war die Erwartungshaltung niedrig. Warum sollte der Linzer Bürgermeister ausgerechnet mit einer Grazer Initiative sprechen? Umso überraschter waren wir, als wir innerhalb kürzester Zeit einen Termin bekamen und so fuhren zwei Vertreter der Initiative am 3. September nach Linz und führten im Linzer Rathaus ein ausführliches Interview, das am Ende weit über das Thema Fußball hinausging und länger als geplant dauerte.

So viel sei schon einmal verraten, auch der Linzer Bürgermeister war ursprünglich ein Vertreter der „Ein-Stadien-Lösung“, bis er sich mit dem Thema ernsthaft auseinandersetzte. Was er sonst noch zu autogerechten Stadien am Stadtrand oder dem „Mailänder Modell“ zu sagen hat, findet ihr im Anschluss.

Dieses Interview bestärkt uns, die Forderung einer „Zwei-Stadien-Lösung“ trotz des heutigen Beschlusses aufrecht zu erhalten und dafür zu kämpfen, den Fehler der Stadtregierung zu korrigieren.

Das Inteview vom 3. September 2019:

Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger.

Initiative: Im heutigen Interview geht es um die Stadionsituation in Linz, das können Sie sich sicher denken. Auch wir haben diese Entwicklung sehr interessiert verfolgt, da wir ebenfalls um ein eigenes Stadion für Sturm kämpfen. Ursprünglich war ein LASK-Stadion am Pichlingersee geplant. Zu unser aller Überraschung wird der LASK nun aber auf der Gugl spielen und Blau-Weiß ein neu gebautes Donauparkstadion bekommen.

Uns würde interessieren, wie hier das Zusammenspiel zwischen Politik und den Vereinen war. Wer ist auf wen zugegangen und wie ist es zu dieser Lösung gekommen? Was kann Graz hier lernen?

Klaus Luger:  Im Grunde genommen ist das eine relativ einfache Geschichte. Die führenden Funktionäre des LASK haben gedacht, dass sie in Pichling ihr Stadion bauen können. Meine Einschätzung war, dass auf Grund des gesamten Umfeldes – es handelt sich dabei um unser Naherholungsgebiet, das ist so wie bei euch diese Schotterseen…

Initiative: …der Schwarzlsee

Klaus Luger: Aktuell ist diese Fläche bei uns tatsächlich landwirtschaftlich genutztes Gebiet und sonst gar nichts. Und auf dieser Fläche war mir klar, dass, falls es überhaupt möglich ist, ein Stadion niemals bis 2022 fertig werden kann.

Initiative: Also haben Sie Bedenken gehabt, als Sie von den Plänen erfahren haben?

Klaus Luger: Ich hatte schwere Bedenken, schon bevor die Bürgerinitiative auf den Plan getreten ist und das Thema einer Volksbefragung aufbrachte.

Initiative: Man benötigt dafür 6000 Unterschriften.

Klaus Luger: Das hatten die in drei Wochenenden zusammen und da war mir klar, dass das Projekt tot ist, egal wie die LASK-Verantwortlichen das sehen. Meine Überlegung war dann, was mache ich? Der LASK ist erfolgreich, ein inzwischen sehr gesunder Verein, hat ein seriöses Management und ist nicht nur ein Linzer, sondern ein oberösterreichischer Verein. Mehr als die Hälfte der Fans, die da ins Stadion gehen, sind keine Linzer.

… weil mir in den letzten zwei Jahren bewusst geworden ist, dass das Mailänder Modell – zwei Vereine nutzen ein Stadion und haben ihre Zentren irgendwo anders – in der heutigen Zeit nicht mehr funktioniert.

Initiative: Das ist bei Sturm auch so.

Klaus Luger: Es ist ähnlich, glaub ich. Also was mache ich? Die sind erfolgreich und haben kein Stadion. Ich habe ein Stadion, das zwar benutzt wird, aber von einem Verein, der einen Zuschauerschnitt von etwa 1.100 hat. Meine Überlegung war dann, dass ich das Linzer Stadion, wenn ich eine Lösung für Blau-Weiß finde, dem LASK anbiete, weil mir in den letzten zwei Jahren bewusst geworden ist, dass das Mailänder Modell – zwei Vereine nutzen ein Stadion und haben ihre Zentren irgendwo anders – in der heutigen Zeit nicht mehr funktioniert. Man braucht für die ganzen Sky-Boxen und die gesamte Vermarktung eine eigene Liegenschaft. Daraufhin habe ich einen Rechtsanwalt, der auch LASK-Anwalt ist, gebeten, er möge bei seinem Präsidenten vorfühlen, ob es denkbar wäre, dass der LASK auf die Gugl geht. Es ist natürlich sofort gekommen: „Ja, aber nur wenn wir dort als LASK ein Verfügungsrecht haben“. Das war mir vorher schon klar, der LASK hat das am Anfang nicht für möglich gehalten. Wir haben dann knapp vier Wochen – viel mehr Zeit habe ich mir auch nicht gegeben – vom ersten Gespräch bis zum Vertragsentwurf gebraucht. In der letzten Phase war es auch notwendig, den Landeshauptmann einzubinden, der immer ein Patron des LASK-Stadions in Pichling war, sowie die oberösterreichische Landesregierung, die sich den Stadionbau völlig auf ihre Fahnen geheftet hat. Wir waren nach einem Gespräch dann ziemlich schnell der Meinung, dass das für alle eine gescheite Lösung ist, aber nur, wenn auch Blau-Weiß eine eigene Heimstätte bekommt.

Auf Kosten von Blau-Weiß hätte ich das nie getan, weil es nicht fair wäre. Danach haben wir auf politischer Ebene die notwendigen Vereinbarungen für ein zweites Fußballstadion in Linz getroffen.

Zusätzlich haben wir noch für die Volleyball-Damen, die österreichische Meisterinnen und Cupsieger geworden sind und auch keine ordentliche Infrastruktur für internationalen Spiele und die „Final Series“ haben, eine Lösung gefunden und bauen eine Halle, wo diese Anforderungen auch erfüllt sind. Auch für andere Sportarten, wie zum Beispiel Handball.

Initiative: Eine Sportoffensive in Linz.

Klaus Luger: Nicht nur für Fußball. Wir bauen auch die Eissporthalle gerade um, erweitern diese zwar nicht kapazitätsmäßig, aber der Kabinentrakt, ein Teil der Serviceeinrichtungen und der VIP-Club wird neu gemacht werden. Das heißt – wir haben in den letzten eineinhalb Jahren eine totale Offensive für Mannschaftssportarten betrieben.

Initiative: Was für eine Summe investiert die Stadt Linz in die Stadien?

Klaus Luger: Fix ist, dass wir beim Blau-Weiß-Stadion drei Millionen zahlen. Da reden wir von einem Drittel, wir sind von neun Millionen ausgegangen. Aber nachdem uns der Grund gehört, fallen die Grundstückkosten de facto weg. Es gibt eine Drittellösung, ein Drittel Land, ein Drittel Stadt und ein Drittel Blau-Weiß selbst.

Initiative: Und Blau-Weiß kann das stemmen?

Klaus Luger: Das ist ein bisschen mehr als ein Jahresbudget. Aber es gibt auch gleichzeitig das LASK-Stadion. Der LASK finanziert die Investitionen ohne städtischen Zuschuss. Sie haben einen Mietvertrag auf 80 Jahre, der sie aber auch in die Eigentümerrechte versetzt. Also eine Art Baurecht.

Initiative: Das ist genau das, was wir anstreben.

Klaus Luger: Juristisch ist es etwas anderes, aber es ist trotzdem quasi ein Baurechtsvertrag.

Initiative: Wir sind auf die Kritik gestoßen, dass Pichling insofern besser gewesen wäre, da man dort einen Parkplatz bauen kann, so groß wie ganz Urfahr. Wo jeder mit dem Auto hinfahren kann. Was sagen Sie dazu und zur Parkplatzsituation?

Beim Stadion in Pichling kommen die Fans und fahren nach dem Spiel. … Ich habe als Stadt Linz nichts davon.

Klaus Luger: Es gibt ein paar objektive Argumente und ein paar subjektive. Wenn Sie in Hartberg wohnen und nach Graz fahren, ist ihnen ein Stadion, wo Sie das Auto hinstellen, hineingehen, sich wieder ins Auto setzen und wieder nach Hartberg fahren lieber. Dasselbe habe ich da mit den über 50% LASK Fans, die von Rohrbach bis Gmunden wegen eines Spiels nach Linz kommen. Das kann ich verstehen, aber das ist Old-School. Denn in Wirklichkeit sind solche autogerechten Stadien – auch international gesehen – Ausnahmen, zum Beispiel bei den Bayern. Dort ist eines der wenigen rein autogerechten Stadien, weil sie mit dem öffentlichen Verkehr viel zu lang brauchen. Wenn Sie einmal eine dreiviertel Stunde nach Garching fahren und dann stehen sie dort und müssen noch zum Stadion latschen – das mag ja lustig sein für Wandervögel, aber es ist ineffizient.

Und ich habe einen ganz anderen Mehrwert beim Stadion im Stadtzentrum. Beim Stadion in Pichling kommen die Fans und fahren nach dem Spiel. Es gibt ja keinen geeigneten öffentlichen Verkehrsanschluss. Weit und breit nicht.

Initiative:  Das ist ja auch einer der größten Kritikpunkte.

Klaus Luger: Ich habe als Stadt Linz nichts davon. Die Fans sind nicht in der Stadt. Das ist wie in München. Was hat München davon, wenn 70.000 bei einem Bayern-Spiel sind?

Was hat München davon, wenn 70.000 bei einem Bayern-Spiel sind?

Ein paar gehen vorher vielleicht in der Innenstadt auf ein Bier und das war es. Bei uns spielt sich das in der Stadt ab. Das haben wir jetzt bei den Qualifikationsspielen des LASK gesehen. Die Fans sind in der Innenstadt.

In der Bundesliga wird der LASK bei guten Spielen schon 8.000-10.000 Leute haben. Da kommen die Leute dann in die Stadt und sie parken hier auch ohne Probleme. Wir haben ein Verkehrssystem, um die Leute auf die Gugl zu bringen. Oder sie kommen mit dem Zug und gehen vom Hauptbahnhof zu Fuß. Wenn sie langsam gehen, dauert es nur eine Viertelstunde zum Stadion.

Ich komme in keiner Stadt, ob das in Barcelona war, in Madrid oder in Bologna, bei kleineren Vereinen, auf die Idee, dass ich mit dem Auto zum Stadion fahre.

Das war ein strukturelles Problem, das in der Diskussion eigentlich nicht so eine Rolle gespielt hat. Aber für mich war das von einer Stadtentwicklung her der Kardinalfehler an dem Projekt in Pichling.

Keiner kommt auf die Idee, ein Opernhaus in Pichling zu bauen.

Das ist aber auch ein bisschen eine Glaubensfrage, wie man eine Stadt sieht. Keiner kommt auf die Idee, ein Opernhaus in Pichling zu bauen. Dann haben Sie aber ein Stadion, das ein Teil einer kulturellen Infrastruktur ist und das bauen wir dann dort raus? Da gibt es vielleicht neben finanziellen Gründen ein „Eliteding“, dass man ein Stadion nicht in einer Stadt haben will. Ich will das aber in einer Stadt haben.

Initiative: Das ist auch unser Ansatz.

Klaus Luger: Schwierig ist es, wenn ein Stadion in städtischem Eigentum ist und man praktisch städtisches Gut privatisieren muss. Das ist immer eine politische Frage. Ich privatisiere sonst nicht, ich bin Sozialdemokrat. Aber in diesem Fall habe ich das nicht sehr ideologisch gesehen, sondern als Chance, dass der LASK seine Perspektive wirklich in Linz hat. Und gleichzeitig für Blau-Weiß, wo die Wahrscheinlichkeit, dass wir in den nächsten Jahren so ein großes Stadion benötigen, überschaubar ist.

Initiative: Also ist es für Sie als Bürgermeister schon wichtig, dass der LASK aus dem Exil wieder zurück in die Stadt kommt.

Klaus Luger: Ja.

Initiative: Sie haben es schon kurz anklingen lassen: Für Sie war es nie eine Frage, dass beide Vereine wieder im gleichen Stadion spielen. Das ist auch ein zentraler Punkt bei uns. Der Grazer Bürgermeister will dies aber durchsetzen. Das war immer schon so. Das hat immer funktioniert. Warum soll das jetzt anders sein? Also warum brauchen wir dafür jetzt zwei Stadien.

Klaus Luger: Ich bin nicht da, um ihren Bürgermeister zu verteidigen, aber ich habe bis vor 2-3 Jahren eine ähnliche Position eingenommen. Ich glaube die Fehleinschätzung – und ich traue mich das zu sagen, weil ich die auch gehabt habe – ist ganz einfach die, dass Sie vor allem im internationalen Geschäft ganz andere Rahmenbedingungen haben. Und, dass die Vereine Infrastrukturen für die eigene Wertschöpfungskette brauchen, die es plausibel erscheinen lassen, dass man ein Allein-Servitut hat. Das hat aus meiner Sicht rein ökonomische Gründe. Dass es zusätzlich auch identitätsstiftender ist, wird auch wahr sein, aber dafür bin ich zu sehr betriebswirtschaftlich denkend. Wenn es zu teuer ist, ist für mich die Identität auf Platz 2. Wenn man sich die Finanzierungssysteme ansieht – und das wird bei Sturm nicht anders sein wie beim LASK – dann müssen Sie ein Objekt haben, das Sie von hinten bis vorne allein vermarkten können. Sie können es nicht jede Woche neu „branden“, sie können es nicht jede Woche neu umbauen. Bei uns war es ja ganz dramatisch. Allein wenn man sich den VIP-Club anschaut. Der LASK braucht einfach doppelt so viel Fläche für den VIP-Club wie Blau-Weiß.

Das kann sich auch einmal ändern, aber von der Struktur her brauchen Sie ein eigenes Haus, auch zur Refinanzierung oder zur Finanzierung des Vereins. Das – glaube ich – muss man in der heutigen Zeit so sehen. Diese Einsicht ist auch in Gesprächen mit Leuten, die sich im Fußball-Business besser auskennen als ich, schnell herausgekommen. Da geht es primär um Business und sekundär um Fußball. Das Business-Modell ist Fußball. Man besorgt sich nicht Geld, damit man Fußballspielen kann, sondern man spielt Fußball, damit man Geld machen kann. Das ist in den Vereinen so. Das ist Business. Das ist eine Unterhaltungsindustrie mit hoher Wertschöpfungskette und hoher Identifikation. Und darum bin ich froh, dass der LASK wieder da ist und sich das Verhältnis zur Stadt normalisiert hat, weil ich glaube, dass Städte sich auch über Fußball definieren können. Nicht nur, aber durchaus. Wenn Sie Deutschlands Mittelstädte anschauen, zum Beispiel Kaiserslautern früher, was ist denn das?

Initiative: Kleiner als Klagenfurt.

Der Fußball jedoch kann Emotion stärken. Man definiert sich dann, weil man stolz ist, aus einer Stadt zu kommen, wo ein Verein gegen Madrid nicht 6:0 verloren hat.

Klaus Luger: Ja es ist so (lacht). Und in Linz ist es halt so, wir sind noch immer die Industriestadt und das will ich auch bleiben. Wir sind auch eine Stadt der Digitalisierung, in Österreich diesbezüglich die Nummer Eins, aber das sind nur „Hard Facts“. Das ist unser Rückgrat, das ist unsere Stärke, das ist aber keine besondere Emotion. Der Fußball jedoch kann Emotion stärken. Man definiert sich dann, weil man stolz ist, aus einer Stadt zu kommen, wo ein Verein gegen Madrid nicht 6:0 verloren hat. Also man hat schon einen Imagewert auch dazu.

Initiative: Eine abschließende Frage hätten wir noch. Sie sind zwar Linzer, aber es würde uns interessieren, ob Sie für Sturm oder für den GAK größere Sympathien hegen.

Klaus Luger: (lacht) Nicht nur weil Sie hier sitzen, aber für Sturm.

Initiative: Vielen Dank für das Interview.